Mit dem MVP-Canvas den Umfang des Minimum Viable Product bestimmen

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Jens Trompeter

Wenn verschiedene Beteiligte aus Marketing, Vertrieb, Fachabteilungen und Software-Entwicklung zusammensitzen und ein neues Produkt vorbereiten, dann kommt es häufig zu Diskussionen über die Richtung der ersten Schritte: Soll man mit einem Proof of Concept starten? Mit einem Piloten? Oder mit einem MVP (Minimum Viable Product)? Und wie unterscheiden sich die Ansätze überhaupt?

Als Agile Coach treffe ich häufig auf Produktentwicklungsteams, die das Scrum-Framework schnell lernen und erfolgreich anwenden. Typischerweise interessieren sich die Product Owner bereits kurz nach den ersten Schritten für Planungsmöglichkeiten über den nächsten Sprint hinaus. Dabei stehen sie vor der Herausforderung, sich mit Kunden und anderen Abteilungen oder Teams für längere Zeiträume abzustimmen und doch agil arbeiten zu können. Dieses Ziel können Sie mit der agilen Etappenplanung erreichen, die wir in unterschiedlichen Fachvorträgen vorgestellt haben.

Oft startet man in der Entwicklung von Software-Produkten jedoch nicht auf der grünen Wiese, sondern entwickelt bestehende Anwendungen weiter. Auch dabei hilft es, größere fachliche Themen zu identifizieren, um die Prioritäten mit den Stakeholdern effizient festlegen zu können.

Große Themen in mehrere MVP aufteilen

Größere Themen, wie beispielsweise die Erweiterung einer Anwendung um einen neuen fachlichen Bereich, beinhalten stets Risiken und Unsicherheiten. Mit dem MVP-Ansatz (Minimum Viable Product) können Sie den Umfang auf den Kern reduzieren, Annahmen frühzeitig validieren und damit Risiken reduzieren. Durch eine schrittweise Erstellung von aufeinanderfolgenden, kostengünstigen MVPs können Sie Ihre Produktentwicklung erfolgreich ausrichten. Diese Herangehensweise hilft Ihnen insbesondere auch bei der Weiterentwicklung bestehenden Anwendungen.

Wie können Sie den Feature-Umfang des MVP schnell eingrenzen?

Wie üblich hat man meist nicht viel Zeit für die Erarbeitung der MVP-Details, so dass Sie den Feature-Umfang schnell eingrenzen müssen.

Dabei hilft Ihnen der MVP-Canvas.

MVP Canvas
MVP Canvas

Woraus besteht der MVP-Canvas?

Der MVP-Canvas für die Feature-Planung besteht aus fünf Bereichen: Target Groups, Customer Needs, Measure & Learn, Viability und MVP Backlog.

Target Groups

Ziel

Finden Sie die konkreten Zielgruppen Ihres MVPs heraus. Wer sind die Anwender? Wer ist noch betroffen?

Best Practices

Häufig fokussiert man sich beim ersten MVP in einem Thema auf „Early Adopters“, die ein überdurchschnittliches Bedürfnis nach Problemlösung haben. Wählen Sie diejenigen „Friendly User“ aus, die eine technische Affinität haben und bereit sind, schnell und direkt Feedback zu geben.

Tools

Customer Needs

Ziel

Für ein erfolgreiches MVP müssen Sie die Kernbedürfnisse der Anwender ermitteln. Diese unterscheiden sich mitunter von den geäußerten Wünschen. Wie schon Henry Ford zusammenfasste: „Wenn ich die Leute gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde“

Best Practices

Das Requirements Engineering bietet eine ganze Bandbreite von Techniken und Vorgehensweisen für verschiedene Situationen. Immer hilfreich ist es, Anwender bei der Nutzung zu beobachten – auch, wenn die Anwendung nur durch Papier-Prototypen simuliert wird. Darüber hinaus können Sie beispielsweise Anwender befragen, die Geschäftsprozesse erforschen und vereinfachen. Dabei hilft Ihnen, die Interaktionen der Anwender mit der Anwendung herauszuarbeiten.

Tools

Measure & Learn

Ziel

Machen Sie die Hypothesen und Annahmen explizit, die Sie mit dem MVP validieren möchten.

Für viele Teams ist dieser Schritt eine Herausforderung. Für die Teams ist in vielen Fällen gar nicht ersichtlich, auf welche Annahmen sie sich verlassen. Schon die Diskussion über Gewissheiten und Annahmen deckt daher häufig wichtige Risiken auf. Die zentrale Frage dabei ist, ob die Zielgruppe Ihr Produkt kaufen wird und warum: Welche Rolle spielen der Funktionsumfang, die Handhabung, der Wechsel- und Einarbeitungsaufwand oder der Preis?

Erarbeiten Sie anschließend, wie Sie den Erfolg messen können. Mit messbaren Werten können Sie die Diskussionen über das weitere Vorgehen auf wirtschaftliche Ziele ausrichten.

Best Practices

Häufig reicht schon eine Liste von Hypothesen in Prosa, sinnvollerweise ergänzt durch Messgrößen und angenommene Zielwerte. Beispiel:

  1. 90% der Kunden, die wir per E-Mail informieren, werden sich bis zum 31.12. auf der Seite registrieren und innerhalb von 24h einloggen.
  2. 60% der registrierten Kunden werden sich ein zweites Mal innerhalb von 14 Tagen nach Registrierung erneut einloggen.
  3. 10% der registrierten Kunden werden sich jede Woche bis zum 31.12. mindestens einmal einloggen.

Dazu sollten Sie notieren, wer die Werte wie und wann misst. Nicht selten fällt dabei auf, dass die notwendigen Messeinrichtungen noch nicht eingeplant wurden.

Tools

  • Ablage im Wiki für Transparenz der Annahmen und gemessenen Werte
  • Messeinrichtungen wie Tracking, Umsatz, Anzahl Supportanfragen, Sofort-Feedback, Interviews

Viability

Ziel

Finden Sie heraus, ob der MVP-Umfang nicht nur kostengünstig realisierbar ist, sondern auch sinnvoll benutzbar. Die Anwender müssen das MVP im echten Leben verwenden können. Nur dann können Sie Erkenntnisse mit hoher Aussagekraft gewinnen.

Best Practices

Wie im Bereich Customer Needs können Sie die Gebrauchstauglichkeit oft bereits durch Papier-Prototypen testen. Lassen Sie Anwender damit den Anwendungsfall durchspielen, möglichst echt und möglichst in der realen Welt. Fokussieren Sie sich auf die Fragen:

  • Versteht der Nutzer die Features und die Benutzung des MVP?
  • Erlebt der Nutzer, was er erleben soll?
  • Werden die Kernbedürfnisse durch das MVP befriedigt?
  • Erkennt der Nutzer die Vorteile des Produktes, insbesondere gegenüber möglichen Alternativen?
  • Erfüllt das MVP Mindestanforderungen an Sicherheit, Qualität und Zuverlässigkeit?

Tools

MVP Backlog

Ziel

Bestimmen Sie die Features Ihres MVP, damit Sie die Umsetzung planen können. Grenzen Sie die nicht enthaltenen Features ab, um möglichst schnell und kostengünstig mit dem MVP produktiv gehen zu können.

Best Practices

Erstellen Sie mit Ihrem Team die Liste der Features für Ihr MVP. Greifen Sie dabei auf die Customer Journeys aus „Bereich 2: Customer Needs“ zurück. Ergänzen Sie die Liste durch weitere Anforderungen. Beachten Sie dabei auch nicht-funktionale Anforderungen wie Performance und Sicherheit.

Überprüfen Sie die Liste regelmäßig, ob Features verzichtbar sind. Dabei hilft Ihnen die Schätzung des Feature-Aufwands durch das Team.

Mit Unterstützung der Stakeholder können Sie zudem den Wert eines Features schnell herausfinden. Nutzen Sie nun intensiv die Kosten-Nutzen-Betrachtung, um den Umfang des MVP möglichst weiter zu verringern. Denn jedes unnütze Feature – auch wenn es nur wenige Tage gekostet hat – hindert Sie an der Entwicklung wichtiger Wettbewerbsvorteile!

Tools

  • Relative Nutzen- und Aufwandschätzungen durch Magic Estimation, Affinity Estimation oder Planning Poker
  • Backlog mit Epics, User Stories
  • User Story Mapping

Wie arbeitet man mit dem MVP-Canvas?

Die Inhalte des MVP-Canvas grenzen den Umfang Ihres MVP ein. Um die verschiedenen Aspekte abzustimmen, gehen Sie iterativ vor:

  • Auf Basis der ersten Erkenntnisse starten Sie wiederum mit dem ersten Bereich und prüfen, was geändert werden kann oder muss.
  • Dabei orientieren Sie sich immer an Erkenntnissen zu echten Notwendigkeiten.
  • Ziel ist immer, möglichst viel aus dem MVP-Umfang entfernen zu können.
  • Die Anzahl der Durchgänge hängt von der konkreten Situation ab.
  • Durch die Verfeinerung vorhandener Inhalte sinkt der Aufwand für die Überarbeitung in der Regel schnell.

Verwenden Sie die Ergebnisse und auch schon die Zwischenergebnisse zum Abgleich mit der Etappenplanung. Hierdurch informieren Sie die anderen Abteilungen schon frühzeitig darüber, welchen ungefähren Ressourcenbedarf Sie haben werden. So vermeiden Sie späte Überraschungen und legen die Grundlage für ein erfolgreiches MVP.

Wie können Sie den MVP-Canvas ausprobieren?

Ich empfehle, mindestens einen DIN-A3-Ausdruck zu verwenden, besser noch einen DIN-A0-Plot. Die Conciso-Vorlage für den MVP-Canvas mit hilfreichen Erläuterungen können Sie über den Button anfordern.

Bei der Bearbeitung ist besonders wichtig, dass Sie Ihre Stakeholder von vornherein in die Diskussionen einbinden, damit Ihre Themen von allen mitgetragen werden. In diesem Sinne wirkt der MVP-Canvas als Werkzeug zur Motivation und Strukturierung von Gruppen-Diskussionen – und spart Ihnen so auf einfache Weise wertvolle Zeit in der Produktentwicklung.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der MVP-Entwicklung gemacht? Wie hilft Ihnen der MVP-Canvas bei der Bestimmung des MVP-Umfangs? Ich bin gespannt auf Ihre Rückmeldungen. Wir sehen uns auf dem nächsten Agile Coaching Meetup oder einer Conciso Veranstaltung!

Ausführlichen MVP-Canvas anfordern

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